Digitale Schultafel reagiert auf Fingerdruck

Neue Medien an der Schule

Von Marc Raschke

Wenn Detlef Anschlag seinen Zeigefinger über die tafelartige Fläche führt, dann scheint es, als würden die Computerbilder an seiner Fingerkuppe kleben bleiben. Mühelos dirigiert er sie hin und her. Der 46-Jährige öffnet eine Windowsdatei, verschiebt sie. Er markiert Textstellen in Word-Dokumenten, löscht Zeichen. Alles mit seinem bloßen Finger. Alles an dieser seltsamen Wand, vor der Anschlag steht, als würde er gerade das Wetter vorhersagen. In solchen Momenten erinnern die Bewegungen des Lehrers an Science-Fiction-Filme, in denen der Held in einer künstlichen 3-D-Welt durch die Luft fuchtelt und ein digitales Archiv nach Akten durchwühlt. Alles per Fingerzeig. Doch was ist das Geheimnis dieser Zauberwand? Über unseren Köpfen surrt leise ein Beamer, der den Desktop eines Computerbildschirms vorne auf jene Zauberwand projiziert, die den bezeichnenden Namen "Smartboard" trägt - schlaue Tafel. An der Maria-Sibylla-Merian-Gesamtschule in Bochum haben sie inzwischen sieben dieser Boards, die pro Einheit inklusive Beamer und Computer zwischen 3000 und 3500 Euro kosten und statt herkömmlicher Kreidetafeln als interaktive Lehr- und Lernfelder genutzt werden. Vom Prinzip her ist das Board so etwas wie die ausgelagerte Benutzeroberfläche eines PCs. Der Unterschied: Die digitale Schultafel, auf die das Bild geworfen wird, reagiert auf Berührung und meldet sie an den Computer. Statt des digitalen Cursors kann also eine Hand aus Fleisch und Blut Felder anklicken und Daten aufrufen. Eine nette Spielerei, möchte man im ersten Moment meinen. Aber was hat das im Unterricht verloren? Sehr viel sogar, wie die Erfahrungen an der Gesamtschule zeigen. "Das Smartboard trägt deutlich zur Verbesserung der Unterrichtsqualität bei", sagt Anschlag.

Foto: Detlef Anschlag setzt im Unterricht auf die digitale Schultafel. Detlef Anschlag setzt im Unterricht auf die digitale Schultafel.

Graphen in Mathe, Gemälde in Kunst, Simulationen in Chemie

Beispiel: Videoanalyse. Will der Lehrer eine Sequenz eingehender erklären, kann er die Projektionsfläche berühren und das Video damit anhalten. Bei Bedarf lässt sich sogar direkt in das Videobild hineinschreiben. Eine Arbeit, die der Lehrer je nach Belieben aber bereits auch schon zu Hause am heimischen PC vorbereiten kann. Dort lädt er den Unterrichtsstoff auf einen normalen Datenstick und wirft ihn dann am nächsten Tag in der Klasse via Beamer an das Smartboard. Ob Graphen in der Mathematik, Schaubilder in Sozialwissenschaft oder Gemälde im Kunstunterricht: Die Einsatzmöglichkeiten der "schlauen Tafel" sind so vielfältig wie die Fächer. Im Bereich Chemie etwa könnte darauf verzichtet werden, gefährliche Stoffe für Versuche in der Schule zu lagern. Stattdessen verfolgt die Klasse das Experiment als Simulation einfach auf dem Smartboard. Mit einem Klick lassen sich Testreihen dann kombinieren und visualisieren. "Tafelbilder verschwinden nicht mehr im Nirwana", sagt Anschlag. Denn während klassische Kreidetafeln erst wieder freigewischt werden müssen, um sie neu zu beschreiben, können die Bilder auf dem Smartboard zwischengespeichert, jederzeit weiterentwickelt und von jedem Schüler zur Nachbereitung mit nach Hause genommen werden. Das mühsame Tafelabschreiben hat ein Ende. "Ich selbst habe an mir beobachtet, dass ich durch die Smartboards bei der Vorbereitung auf den Unterricht strukturierter arbeite", sagt Rainer Schollas, stellvertretender Leiter des Gesamtschule, der ein glühender Verfechter der neuen Generation von Tafel ist. Auch, weil auf diesem Wege eine weitere Hürde in der Stoffvermittlung genommen wird: die unleserliche Handschrift, mit der manch ein Lehrer an die Tafel schreibt.

Neue Technik sorgt für Berührungsängste

Die Schüler können also besser lernen, und die Lehrer haben neben Powerpoint-Präsentationen eine weitere digitale Möglichkeit, ihren Unterricht zu gestalten. Und doch sind die Tafeln an Schulen in Deutschland noch nicht weit verbreitet. "So viel ich weiß, sind in England bereits 90 Prozent aller Schulen mit digitalen Schultafeln ausgestattet", sagt Anschlag. In der Bundesrepublik liege die Zahl noch deutlich darunter. Neben Kostengründen, schätzt Anschlag, sind es vor allem bei einigen Lehrern Berührungsängste mit der neuen Technik. "Dahinter steckt die diffuse Sorge, vor der Klasse zu stehen und ein Medium nicht zu beherrschen", so Anschlag. Hier aber müsse ein Paradigmenwechsel erfolgen. "Als Lehrer bin ich heutzutage nicht mehr ein absolutes Kompendium an Wissen, wenn ich vor eine Klasse trete. Ich muss vielmehr den Schülern zeigen, wie ich mich in einem Umfeld verhalte, in dem ich eben nicht mehr alles wissen kann", so Anschlag.

Die Smartboards werden an der MSM-Gesamtschule von dem Geld finanziert, über das die Schule als "eigenverantwortliche Schule" verfügen darf. Zudem tragen private Spenden der Eltern und des Fördervereins ihren Teil dazu bei. Und nicht zuletzt ist es dem Verhandlungsgeschick von Detlef Anschlag und seinem Kollegen Thomas Stebner zu verdanken, dass die Schule bislang relativ günstig an die Technik kam. Dafür klappern die beiden Fachmessen ab und halten ständig die Augen offen. Übrigens, Stebner kann auch gerufen werden, wenn es in einem Smartboard-Klassenraum einmal zu technischen Störungen kommt. Der 39-jährige gelernte IT-Systemkaufmann kam 2005 als Ein-Euro-Jobber an die Gesamtschule, richtete dort gemeinsam mit seinem Kollegen Detlef Anschlag Netzwerke ein und feilte an der Technik, die inzwischen zentral administriert und gesteuert werden kann.

Foto: Thomas Stebner checkt die Technik, wenn es  zu Störungen kommt. Thomas Stebner checkt die Technik, wenn es zu Störungen kommt.

Als die Arbeitsmaßnahme auslief, wurde Stebner von der Schule kurzerhand übernommen und wird seither aus Schule-21-Mitteln finanziert. Sein Verdienst ist es unter anderem, dass inzwischen im Lehrerzimmer ein Computerterminal steht, mit dem Lehrer zum Beispiel Schulräume buchen und Zugriff auf die zentrale Informationsplattform der Schule haben. Ein Service, den die Lehrkräfte auch direkt von zu Hause aus nutzen können, indem sie sich online in den Schulserver einwählen. Das Terminal-Pult im Lehrerzimmer, erzählt Stebner, stand früher mal in einer Bank; Kunden haben daran ihre Überweisungen ausgefüllt. Jetzt steht es im Lehrerzimmer. Und eigentlich kann die ganze Technik - angefangen von den Smartboard über die Internetnetzwerke bis hin zum Buchungsterminal - nur eines noch wirklich erschüttern: ein Stromausfall.